"Liebe Frauen, hört auf, mit Männern über Geld zu sprechen!"
Frauen und Anlegen – ein leidiges Thema. In jedem Artikel kommen die Autoren am Ende zum selben Schluss: Frauen finden das Thema Investieren nicht sexy. Zinssätze und Renditen lösen bei ihnen keine Schlüsselreize aus. Zugegebenermassen: bei mir auch nicht.
Warum ist das so? Trotz Emanzipation überlassen viele Frauen ihre Geldangelegenheiten ihren Männern. Ich habe Corinne Brecher, Betriebsökonomin und Bloggerin, und Sarah Seyr, Doktorin in Psychologie und Mitgründerin der Finanzplattform Smolio, sieben Fragen gestellt in der Hoffnung, herauszufinden, wie ich die Frauen aus ihrem Finanzen-Dornröschenschlaf wecken kann.
Die Frauen nennen immer dieselben Gründe, warum ihnen Anlegen egal ist. Die Materie sei furztrocken, zeitaufwendig, langweilig. Wie erklären Sie Ihnen, dass diese "Ausreden" nicht stimmen?
Sarah Seyr: Gar nicht. Die "Ausreden" haben ihre Berechtigung. Hinzu kommt der negative Beigeschmack des Themas. Vor allem das grosse Geld ist immer noch eng verbunden mit dem Stereotyp Mann in einträglicher Erscheinung und mit fragwürdigen Werten. Damit kann und muss frau sich nicht identifizieren. Wenige interessieren sich für Geld des Geldes wegen – und das ist gut so. Menschen begeistern sich für das, was sie damit vorhaben, wie sie damit leben möchten und auch, welchen Einfluss sie ausüben können.
Corinne Brecher: Das Thema ist für viele Frauen unverständlich, weil sie sich die falschen Informationsquellen und Bezugspersonen aussuchen. Ein Bankberater verwendet oft Fachjargon, den Frauen nicht verstehen. Sie trauen sich nicht, nachzufragen. Sind sie unter sich, stellen sie plötzlich Detailfragen. In einer geschützten Gruppe erkennen sie, dass darüber sprechen Spass macht und man nicht alleine ist. Jede Frau macht sich die ähnlichen Sorgen in Bezug auf Geld. Der Ursprung der "Ausreden" liegt im Gesprächspartner: Liebe Frauen, hört auf, mit Männern über Geld zu sprechen! Das ist eine Sache von Frau zu Frau.
Warum müssen Frauen heute zwingend anlegen?
Sarah Seyr: Die Wirtschaft funktioniert nach den Regeln des Kapitalismus. Wer seinen Wohlstand steigern will, muss investieren – ob ins eigene Unternehmen oder über den Kapital- und Aktienmarkt in Unternehmungen anderer. Hier spielen Frauen eine zunehmend wichtige Rolle, denn der Lebensentwurf von Frauen ist heute ein anderer als zur Zeit unserer Eltern und Grosseltern. Frauen sind besser ausgebildet, erwirtschaften mehr Einkommen, besitzen mehr Kaufkraft. Nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu investieren ist der nächste logische Schritt. Ausserdem können Frauen das System nur verändern, wenn sie daran teilhaben.
Corinne Brecher: Frauen verdienen nach wie vor rund 20 Prozent weniger als Männer, sie arbeiten häufig Teilzeit, was zu Einkommenslücken führt. Zudem liegt die Lebenserwartung von Frauen bei bis zu vier Jahren höher als die von den Männern. Also brauchen Frauen im Alter mehr Geld. Investieren sie nicht, droht ihnen im schlimmsten Fall die Altersarmut.
Sarah Seyr: "Viele Finanzprodukte werden bewusst unnötig aufgeblasen, damit sie keiner versteht."
Clevercircles setzt auf kollektive Intelligenz. Warum hilft Kollektivität, um in der Finanzwelt erfolgreich zu sein?
Sarah Seyr: Es liegt auf der Hand: Mehr Menschen wissen mehr. Wichtig ist die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema Anlegen. Das gibt Sicherheit und wirkt motivierend. Gerade Frauen betonen häufig, wie wichtig ihnen bei Finanzfragen der Austausch mit einer vertrauenswürdigen Person ist. Bei clevercircles profitieren wir von den Erfahrungen anderer. Im Gegensatz zum “Berater”, der einem ein komplexes Finanzprodukt verkaufen will, das er selber kaum durchschaut, sind Community von informierten Gleichgesinnten die weitaus seriösere Anlaufstelle für Finanzentscheidungen.
Corinne Brecher: Die Meinung von Experten reicht für die erfolgreiche Geldanlage nicht aus. Familie und Freunde sollten genauso stark gewichtet werden. Zudem hilft Kollektivität immer, Sichtweisen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Die Zukunft gehört Robo-Advisorn. Davor muss frau keine Angst haben, denn…
Sarah Seyr: ...Angst ist nie ein guter Ratgeber. Die Technologie bietet die Chance, Tätigkeiten effektiver und günstiger durch Maschinen ausführen zu lassen. Robo-Advisor handeln nicht nach Stereotypen, sie behandeln Männer und Frauen gleich. Für einen Menschen ist es nahezu unmöglich, den Markt zu schlagen. Viele Finanzprodukte werden bewusst unnötig aufgeblasen, damit sie keiner versteht. Robots und deren Algorithmen treffen komplexe Entscheidungen besser und ermöglichen uns, von der Entwicklung am Finanzmarkt zu profitieren.
Corinne Brecher: Dank Robo-Advisorn bleibt am Ende mehr Geld auf dem Konto übrig, weil die Gebühren unschlagbar tief sind im Vergleich zu Banken. Es ist die perfekte Kombination aus Selbstbestimmung (wie strukturiere ich mein Portfolio und was kommt da rein?) und Service, weil sich der Advisor nur um das Nötigste kümmert.
Was sind die häufigsten Fragen, die Frauen zu Anlegen stellen?
Sarah Seyr: Bei Smolio fragen häufig Anlageneulinge nach. Von: "Was soll ich machen, ich weiss nicht wo anfangen", bis zu: "Was ratet ihr mir zur Anlage xy, die mir empfohlen wurde". Wir möchten wissen, was die Frauen erwarten und lernen so die Lebensentwürfe kennen. Unserer Beobachtung nach steigt bei Frauen die Angst, in Anlagefragen "etwas zu verpassen".
Corinne Brecher: Da kommen mir zwei Fragen in den Sinn:
- Wie kann ich mit wenig Geld ein Vermögen aufbauen?
- Bin ich mit meinen 50 Jahren in Sachen Vorsorge nicht zu spät dran oder kann ich da noch etwas tun?
Corinne Brecher: "Die Meinung von Experten reicht für die erfolgreiche Geldanlage nicht aus. Familie und Freunde sollten genauso stark gewichtet werden."
Wie entscheiden Frauen, wofür sie anlegen und wie unterscheiden sie sich hierbei von Männern?
Sarah Seyr: Ich beobachte die Stereotypen, dass Frauen mehr auf Sicherheit und Nachhaltigkeit setzen und Männer sich gerne überschätzen. Gleichwohl gibt es Frauen, die auf Risiko gehen und einfach mal ausprobieren und Männer, die sehr unsicher sind. Ich versuche, mich von den bekannten Mustern zu distanzieren. Menschen haben zu einem bestimmten Zeitpunkt unterschiedliche Ziele und Lebensumstände.
Corinne Brecher: Frauen müssen zuerst alle Facts & Figures kennen, bevor sie sich für ein Investment entscheiden. Sie wollen das Produkt im Detail verstehen. Ausserdem liegt ihre Risikobereitschaft weit unter denjenigen von Männern. Männer informieren sich auch über Produkte, fällen aber schneller einen Entscheid. Sie nehmen grössere Risiken auf sich.
Sind Frauen die besseren Anleger?
Sarah Seyr: Studien sowie meine Beobachtungen zeigen, dass Frauen langfristiger ausgerichtet sind, sich weniger überschätzen und, ja, bessere Ergebnisse erzielen. Wenngleich diese Ergebnisse Mut machen, würde ich mich im Umkehrschluss nicht darauf verlassen, dass ich als Frau naturgegeben die besseren Entscheidungen treffe. Für mich ist eine gute Anlage eine, hinter der ich stehen kann. Dazu informiere ich mich und hole mir Meinungen von anderen Anlegern – Frauen und Männern.
Corinne Brecher: Ich glaube nicht, dass ein Geschlecht besser oder schlechter ist. Ich bin aber überzeugt, dass sich das Verlassen auf die eigene Intuition den Frauen zu Gute kommt. Frauen fällen auch mal einen Investment-Entscheid auf emotionaler Basis, ausserdem verfolgen Sie eher eine Buy & Hold Strategie, was ihnen langfristig auch die besseren Gewinne bringt. Frauen sind nicht besser, aber sie gehen bedachter und cleverer vor, wenn es um Geldanlage geht.
Zur Person
Sarah Seyr
Sarah Seyr ist Mitgründerin des Startup Smolio, das sich seit 2016 dem Thema Finanzielle Unabhängigkeit annimmt. Die 35-Jährige ist Psychologin mit Promotion an der ETH und weiss um die Herausforderungen in der Auseinandersetzung mit komplexen Themen. Sie will mit dem richtigen Ansatz und digitaler Unterstützung einen leichten Zugang zum Thema Finanzen ermöglichen. So bietet sie mit Smolio verständlich erklärtes Finanzwissen und kostenlose Tools, damit jede und jeder seine Finanzen selbst optimieren kann. Urspünglich aus dem Südtirol kommend, zählen Outdoor-Sport und Wein zu den Hobbys von Sarah Seyr. Sie interessiert sich für Film und gute Geschichten aller Art, was sich auch im Blog von Smolio zeigt.
Corinne Brecher
Corinne Brecher ist diplomierte Betriebsökonomin FH und hat bereits mit 19 Jahren ihre erste Aktie erworben. Die 28-Jährige kennt die Bedürfnisse der Generation Y, deshalb ist ihre Finanzberatung alles andere als herkömmlich. Seit Oktober 2017 bewirtschaftet sie einen eigenen Finanzblog und bietet kostenfreie Webinare an. Ihre Haupttätigkeit besteht darin, Frauen zu coachen und zu motivieren, ihr Geld an der Börse anzulegen. In ihrer Freizeit ist sie in der Natur, auf dem Golfplatz oder in einem Fussballstadion anzutreffen.
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